Food Campus Berlin: Wie sieht die Ernährung der Zukunft aus?
Victoria Reinsch: Ich denke, dass unsere Ernährung wieder diverser wird. Zum einen, weil es der Planet braucht, zum anderen aber auch, weil sich zeigt, dass es für uns Menschen gar nicht sonderlich gesund ist, dass wir uns so einseitig ernähren. Unsere „Convenience“-Ernährung führt zum Ende der Vielfalt, sowohl auf dem Planeten wie auch in unserer Darmflora – und mit Verlaub gesagt, das ist für uns alle scheiße. Mit Formo arbeiten wir an alternativen Produkten, um der konzentrierten Massentierhaltung Einhalt zu gebieten, denn auch hier hat sich die Monotonie breitgemacht. Die intensive Landwirtschaft zerstört den Lebensraum von Wildtieren, die mittlerweile nur noch 4 Prozent der Biomasse der Säugetiere ausmachen. Auch bei Vögeln sieht es ähnlich gruselig aus, wobei es immerhin noch 30 Prozent der Biomasse sind, die auf wilde Vögel entfallen.
Food Campus Berlin: Was sind die größten Herausforderungen für die nachhaltige Transformation der Ernährungsindustrie?
Victoria Reinsch: Die renditeorientierte Grundhaltung der Industrie und die Landwirtschaft, die auf endlose Effizienzsteigerung und Intensivierung ausgerichtet sind. Dies ist natürlich auch eine generelle Haltung der Gesellschaft gegenüber unseren Nahrungsmitteln. Die derzeit vorherrschende Praxis, Nahrungsmittel mit niedrigen ökologischen, sozialen und ethischen Standards zu erzeugen, führt dazu, dass dies von großen Teilen der Bevölkerung als normal angesehen wird. Höherwertige Produkte, die auf der Basis höherer Standards hergestellt wurden, werden als außergewöhnlich und nicht notwendig erachtet. Die mangelnde Wertschätzung fördert die Entstehung von Lebensmittelabfällen. Circa 6,7 Millionen Tonnen Lebensmittel bzw. 82 Kilogramm pro Kopf und Jahr werden von Privathaushalten weggeworfen; die Hälfte davon wäre vermeidbar. Aufgrund der Preissensibilität bei Konsumenten sind Akteure einem starken Preisdruck ausgesetzt und produzieren „billig“ (wenn wir die externalisierten Kosten mal außen vor lassen) – und zu billig führt zu fehlender Wertschätzung und das wieder zu mehr Müll. Wir müssen umdenken, um aus diesem Teufelskreis auszubrechen und eine nachhaltige Zukunft zu schaffen.
Food Campus Berlin: Wie schafft ihr einen positiven Planetary Health Impact?
Victoria Reinsch: Es gibt viele Gründe, warum unsere Produkte gut für die planetare Gesundheit sind. Zum einen reduziert Präzisionsfermentation den Carbon-Footprint der Produktion im Vergleich zu traditionellen Methoden, bei denen Tiere involviert sind. Das liegt daran, dass für die Präzisionsfermentation viel weniger Land, Wasser und Ressourcen benötigt werden. Zum anderen ist Käse aus Präzisionsfermentation eine nachhaltigere und ethischere Alternative zur traditionellen Tierhaltung, bei der oft Tierquälerei und Ausbeutung an der Tagesordnung sind. Lebensmittel, die anhand von Präzisionsfermentation hergestellt werden, kommen ganz ohne Antibiotika aus und es können nützliche Nährstoffe zugefügt werden, die dazu beitragen, Mangelernährung und andere Gesundheitsprobleme zu bekämpfen.
Food Campus Berlin: Welche Statistik / Studie zitierst du gerne und am häufigsten?
Victoria Reinsch: Am liebsten zitiere ich meine Kollegin Sasha, sie ist bei uns für Market Insights zuständig. Wir werden öfter gefragt, warum wir nicht mit Milch starten, und dazu hat sie mir vom Euromonitor Infos rausgesucht. In Deutschland sind bereits 18 Prozent des Milchmarkts pflanzenbasiert, bei Käse sind es nur 2 Prozent. Das heißt für uns, dass die pflanzlichen Milchalternativen bereits einen ganz guten Job machen und es bei Käse einfach noch viel mehr Bedarf nach besseren Alternativen gibt. Außerdem ist der Hebel bei Käse noch extremer, wenn man bedenkt, dass man pro Kilogramm Käse bis zu 15 Liter Milch braucht.
Food Campus Berlin: Welche sind für dich aktuell die spannendsten Innovationen / Unternehmen / Start-ups / Trends im Bereich Food und warum?
Victoria Reinsch: Natürlich Formo, nicht nur, weil ich selbst bei Formo arbeite, sondern weil die neuen Möglichkeiten, die Präzisionsfermentation hervorbringt, gigantisch sind. Aber auch CellAg und Mycelium eröffnen ähnlich neue Horizonte. Aus diesen Bereichen werden auf jeden Fall großartige Unternehmen hervorgehen. Außerdem finde ich den Ansatz von regenerativer Landwirtschaft superinteressant.
Food Campus Berlin: Deine Vision für die Food-Branche in einem Satz?
Victoria Reinsch: Um eine nachhaltige und ethische Nahrungsmittelversorgung zu schaffen, die der wachsenden Weltbevölkerung gerecht wird und dabei die Umwelt und das Tierwohl respektiert, braucht es Superhelden – und die tragen Laborkittel! 💪🦸♂️🌱
Die schnellen 8 an Victoria Reinsch (Director Brand and Communication bei Formo)
Wieso gerade Food?
Weil es verbindet und glücklich macht!
Umdenken, was bedeutet das für dich?
In erster Linie bedeutet es, ganzheitliche Entscheidungen zu treffen: Sei es, als Kunde zu schauen, welche Unternehmen ihre Ziele nicht nur an der Profitmaximierung ausrichten, oder sich als Unternehmer von den aktuell vorherrschenden KPIs zu lösen und ökologische, soziale und ethische KPIs zum Standard zu machen. Das Umdenken muss von uns allen kommen, privat, aber auch beruflich. Da ist es ziemlich egal, was man macht. Jeder ist ein Teil des Ganzen.
Was macht deinen Tag perfekt?
Zeit mit Menschen, die ich liebe, Musik und gutes Essen.
Dein größter Erfolg bisher?
Für mich persönlich ist es der größte Erfolg, einen Beruf gefunden zu haben, der auf der einen Seite Spaß macht, sehr vielseitig ist und bei dem ich mit einem großartigen Team arbeite. Andererseits ist es großartig, disruptiv zu sein und den Status quo nicht als gegeben zu akzeptieren. Wir werfen nicht einfach ein weiteres gewinnmaximierendes Produkt auf den Markt, weil wir eine Nische entdeckt haben. Bei Formo gehen wir jeden Tag neue Wege und fordern den Status quo heraus, um die Welt ein Stückchen besser zu machen. Awards oder Auszeichnungen bedeuten mir reichlich wenig, mein tägliches Leben in so einem Umfeld und mit so einem Ziel zu füllen, ist für mich das Größte, was ich mir vorstellen kann.
Deine grösste Herausforderung bisher?
Ein spannendes berufliches Umfeld stellt einen immer wieder vor neue Herausforderungen, da ist es schwer, nur eine herauszupicken, zumal ich es mag, immer wieder Lösungen für Probleme zu finden. Privat ist das natürlich etwas anderes, je älter ich werde, desto mehr gibt es gesundheitliche Probleme um mich herum. Aber auch hier gilt: Was mache ich mit einer Herausforderung? Ich lerne daraus. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, Zeit mit den Menschen zu verbringen, die man liebt.
Dein schlimmstes kulinarisches Erlebnis?
Haha, wow, da gibt es viele, aber no bashing hier. Die guten überwiegen eindeutig und das letzte herausragende kulinarische Erlebnis war das Menü im Oukan Japanese Vegan Dining hier in Berlin. Ein japanisches Menü komplett vegan! Ich war gerade in Japan und jetzt habe ich noch mehr Respekt vor dem, was dort aus rein pflanzlichen Zutaten gezaubert wird.
Deine Lieblings-Foodblogs?
Kitchen Stories, aber am liebsten suche ich über Pinterest.
Deine Lieblings-Podcasts?
Ich starte in den Tag mit dem FAZ-Frühdenker. The CMO Podcast, The Plant Based Business Podcast und den OMR Podcast.