Food Campus Berlin: Wie sieht die Ernährung der Zukunft aus?
Dr. Sebastian Rakers: Die Weltbevölkerung wächst stetig und damit auch der Bedarf an Nahrungsmitteln, deren konventionelle Herstellung bereits heute unsere natürlichen Ressourcen übersteigt. Wir müssen uns umstellen und neue Wege finden, um die Ernährung und Verteilung zu sichern, wenn wir unsere Lebensgrundlagen nicht selbst zerstören wollen. Das gilt sowohl für die Herstellung als auch für die Art der Lebensmittel, die wir zu uns nehmen. Die Transformation hin zu einer Ernährung, die die planetaren Grenzen respektiert, ist bereits in Gang gekommen und benötigt vielfältige Ansätze. Kultivierte Proteine werden mit Sicherheit ein Teil dieses Wandels sein, denn sie lassen sich regional, ohne Gefährdung des Tierwohls und mit deutlich geringerem CO2-Fußabdruck herstellen als herkömmliches Fleisch oder wild gefangener Fisch. Auch Ersatzprodukte auf pflanzlicher Basis werden eine große Rolle spielen, ebenso neue biologische Anbaumethoden, wie Vertical Farming.
Food Campus Berlin: Was sind die größten Herausforderungen für die nachhaltige Transformation der Ernährungsindustrie?
Dr. Sebastian Rakers: Zeit, Kosten und der Wille zum Wandel. Wir kommen aus dem Zeitalter des Überflusses. Alles ist in Maßen zu jeder Zeit und vor allem günstig zu haben. Darauf hat sich die Ernährungsindustrie eingestellt und produziert überwiegend auf die gewinnbringende Masse. Ein Umdenken muss allerdings stattfinden und ist spätestens durch die Covid-Pandemie auch bei den Verbrauchern angekommen. Ideen wie Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung oder Zero Waste fordern eingefahrene Prozesse heraus und kosten in der Umsetzung erst einmal Geld. Die Transformation hat zwar begonnen – befeuert durch innovative Ideen, neue Ernährungskonzepte und nicht zuletzt den Verbraucherwunsch –, aber der Wandel braucht Zeit. Und dort, wo wir über Alternativen zu den bekannten und gewohnten Ernährungsmethoden sprechen, braucht es zudem Aufklärungsarbeit, um Vertrauen zu schaffen.
Food Campus Berlin: Wie schafft ihr einen positiven Planetary Health Impact?
Dr. Sebastian Rakers: Bluu Seafood stellt kultivierten Fisch aus Stammzellen her. Nach einer anfänglichen Biopsie muss für die Herstellung kein Fisch mehr sterben. Die Zellen vermehren sich bei einer ausreichenden Versorgung im Fermenter und sind auf natürlichem Wege immortalisiert. Das heißt, sie sterben nach der Teilung nicht ab, sondern teilen sich weiter. Das Zellwachstum im Fermenter läuft nach natürlichen Prozessen ab, so, wie die Zellen auch im lebendigen Fisch wachsen würden. Es entsteht Zellmasse aus Muskelzellen, Fettzellen und Bindegewebszellen, die sich in puncto Geschmack und Kochverhalten nicht von herkömmlichem Fisch unterscheidet. Dabei kann man kultivierten Fisch unabhängig vom Meereszugang überall dort herstellen, wo er gegessen werden soll. Zudem wird nur das produziert, was auch benötigt und verwendet wird. Natürlich brauchen wir dafür auch Energie, aber können den Energiebedarf gleich bei der Fabrikplanung einbeziehen und somit ein ganzheitliches Konzept inklusive regenerativer Energie erarbeiten. So können wir deutlich effizienter als die konventionelle fischverarbeitende Industrie produzieren. Bedenkt man, dass laut FAO – das ist die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen – bereits 90 Prozent der essbaren Wildfischbestände maximal befischt oder überfischt sind, bietet kultivierter Fisch die Möglichkeit, den Fischereidruck zu senken und damit die Meere zu entlasten und die Biodiversität zu fördern.
Food Campus Berlin: Welche Statistik/Studie zitierst du gerne und am häufigsten?
Dr. Sebastian Rakers: Die eben genannte. Die FAO untersucht regelmäßig die weltweiten Fischbestände, liefert Fischerei-Reports und Zahlen zur Fischproduktion. Das sind eindrucksvolle und für uns wichtige Marktdaten, die nicht nur zum Handeln mahnen, sondern auch zeigen, wie groß der Weltmarkt für Fisch ist und wie die Handelswege verlaufen. Auch die Produktionsarten und ihre Entwicklung lassen sich nachzeichnen, z. B. Aquakulturen. Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, dass wir in Deutschland 80 Prozent des Fischbedarfs importieren müssen und dieser u. a. aus Aquakulturen in Norwegen, Vietnam oder Südamerika stammt. Dies erzeugt immense Transportkosten und -emissionen. Dabei könnten wir doch in Deutschland direkt produzieren und so die Wertschöpfung im Land halten.
Food Campus Berlin: Welche sind für dich aktuell die spannendsten Innovationen/ Unternehmen /Start-ups /Trends im Bereich Food – und warum?
Dr. Sebastian Rakers: Für mich ist alles spannend, was die Bereiche Natur/Biologie und Technik verknüpft, von Bionik bis hin zu Biodiversität, und auf Food bezogen insbesondere das, was in der zellulären Landwirtschaft passiert – ob kultiviertes Geflügel, Rindfleisch, Fisch oder Molkereiprodukte. Das Thema ist noch so jung, dass wir gemeinsam daran arbeiten müssen, um wirklich voranzukommen. Deshalb gehört Bluu Seafood auch zu den Gründungsmitgliedern von Cellular Agriculture Europe, dem Verband, mit dem wir uns in Brüssel gemeinsam mit Aleph Farms, Mosa Meat, Wilk und vielen anderen für die Nahrungsmittelsicherheit kultivierter Produkte und die Definition der Zulassungsbedingungen in der EU einsetzen. Spannend finde ich persönlich aber natürlich auch die Innovationen in Deutschland im Bereich pflanzlicher Ersatzprodukte, wie zum Beispiel die pflanzlichen Eier von Perfeggt oder neue Produkte basierend auf Pilzmyzelien, wie die von Mushlabs. Grundsätzlich werden wir alle Alternativen brauchen, um die Ernährung der Zukunft sicherzustellen.
Food Campus Berlin: Deine Vision für die Food-Branche in einem Satz?
Dr. Sebastian Rakers: Wir müssen alle gemeinsam daran arbeiten, die dringend nötige Transformation der Food-Produktion zu realisieren, um nachhaltige, qualitativ hochwertige, gesunde und bezahlbare Produkte für den Konsumenten bereitzustellen, ohne die Ressourcen unseres Planeten zu erschöpfen.
Die schnellen 5 an Dr. Sebastian Rakers (Gründer von Bluu Seafood)
Wieso gerade Food?
Eine Leidenschaft, die uns alle angeht und berührt.
Umdenken – was bedeutet das für dich?
Dinge zu hinterfragen.
Was macht deinen Tag perfekt?
Mit meinen Mitmenschen zu lachen und glücklich zu sein.
Dein größter Erfolg bisher?
Meine beiden Kinder und meine tolle Ehefrau, die mich bedingungslos unterstützen, damit ich meinen beruflichen Traum leben kann.
Deine größte Herausforderung bisher?
Der Sprung vom Forscher zum Gründer – eine Herausforderung, aber eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe.